Die Pandemie zehrt an den Nerven. Umso wichtiger ist es jetzt, auf uns zu achten. Im Mai sensibilisiert Amazon intern zum Thema mentale Gesundheit. Damit Stressfaktoren nicht auf die Seele schlagen, klärt Amazon Mitarbeiter und Burnout-Berater Christian Krosse auf, wie wir einem Burnout vorbeugen. Er weiß aus eigener Erfahrung, wie es sich anfühlt, wenn Körper und Geist ausbrennen.

Christian, wie entsteht eigentlich ein Burnout?

Burnout kann jeden treffen, egal ob im Management, im Handwerk oder im Familienbetrieb – und egal, ob man seinen Job liebt oder nicht. Es ist keine Managerkrankheit. Es ist ein Syndrom und bedeutet wortwörtlich übersetzt „Ausbrennen“. Damit verbundene Krankheiten können eine Angststörung, Depression oder Abhängigkeit sein. Für die Entwicklung eines Burnout-Syndroms gibt es viele Ursachen und diese sind sehr komplex. Ausschlaggebend ist oft auch die Einstellung zur eigenen Leistung bei der Arbeit und im Alltag.

„Burnout kann jeden treffen, auch Menschen, die ihre Arbeit gerne machen. Das Gute: Wenn man die Symptome erkennt, kann man rechtzeitig die Weichen stellen."
Christian Krosse

Burnout ist nicht einfach da und das war’s. Burnout kommt schleichend. Ich habe das selbst erlebt und anfangs gar nicht als solches wahrgenommen. Die Wissenschaft unterscheidet je nach Modell verschiedene Phasen des Burnouts: von der Anfangsphase mit extremem Engagement über erste Warnzeichen wie zeitweilige Erschöpfung und emotionale Reaktionen wie Aggression bis hin zur Endphase, zum Beispiel mit körperlichen Reaktionen wie Panikattacken. Dahinter stehen Stressfaktoren, so genannte „Stressoren“. Und die können für jede:n anders sein.

Rückblickend waren die Auslöser bei mir Perfektionismus und mein Anspruch, immer erreichbar zu sein. Ich habe mich unter Druck gesetzt, ein Top-Performer zu sein, und mir keine Zeit mehr für mich genommen. Nicht jeder Stress ist gleich, oder für alle schädlich. Wichtig sind ausreichende Erholungsphasen für Körper und Geist. Es ist also wichtig, nicht vor dem Stress an sich Angst zu haben, sondern zu schauen, was bedeutet Stress für mich und wie gut kann ich ihn ausgleichen.

Ein Mann mit blauem Hemd und kurzen Haaren lacht in die Kamera.
Christian Krosse, Amazon Mitarbeiter und Burnout-Berater, weiß, wie wir einem Burnout vorbeugen können.
Foto von BLENDE11 FOTOGRAFEN

Was stresst uns denn am meisten? Gibt es typische Stressfaktoren?

Heute sind es überwiegend psychosoziale Faktoren, die Menschen gereizt, hektisch und nervös machen. Typische Faktoren sind:

  • Leistungsdruck, Termindruck, Multitasking und Dauererreichbarkeit
  • Konflikte in der Schule, am Arbeitsplatz oder in der Familie
  • schwere Krankheit oder Tod in der Familie
  • ungesunde Ernährung, Bewegungsmangel, wenig oder gar keine Erholung
  • Unzufriedenheit, Sorgen und Zukunftsängste, oder eine überzogene Anspruchshaltung gegenüber sich selbst

Hier kann jede und jeder für sich schauen, welche Punkte Energie kosten. Manche stresst die hohe Belastung im Job, während andere sich sorgen, nicht gebraucht zu werden. Manche stressen Probleme in der Beziehung, wohingegen andere sehr mit sich beschäftigt sind. Wichtig ist herauszufinden, was die eigenen Stressfaktoren sind.

Wie erkenne ich ein drohendes Burnout bei mir oder bei Kolleg:innen?

Das ist gar nicht so einfach, denn die Symptome für Burnout sind nicht nur vielfältig und individuell, sondern auch je nach Stadium unterschiedlich. Wir unterscheiden körperliche Symptome einerseits und Gedanken und Gefühle andererseits. Erste Anzeichen einer beginnenden Burnout-Symptomatik können sein: nahezu pausenloses Arbeiten, der Eindruck der eigenen Unentbehrlichkeit, das Gefühl nie mehr richtig Zeit für sich zu haben. Im fortgeschrittenen Stadium kommen Ärger, Unzufriedenheit, Gereiztheit oder auch das Gefühl, ausgenutzt zu werden, hinzu. Körperliche Symptome nehmen zu. Von Verspannungen, Kopf- oder Magenschmerzen über sexuelle Probleme, Tinnitus und Herzrasen bis zu Angstzuständen und Depression, um nur einige zu nennen. Das Schwierige ist, dass viele der Anzeichen auch Symptome anderer Krankheiten sein können oder sich vermischen. Eine schlaflose Nacht ist nicht gleich ein Anzeichen für Burnout, und ein Bluthochdruck kann andere Ursachen haben. Hier gilt es, sich selbst oder Kolleg:innen, Freund:innen oder Familie zu beobachten.

Mir selbst hat ein Symptom-Tagebuch geholfen: Wer die Symptome mit Datum, Uhrzeit und falls erkennbar mit einer Ursache notiert, bekommt eine bessere Sicht auf die Häufigkeit und Art der Symptome. Wer anderen helfen möchte, sollte auf gute Ratschläge verzichten. Diese können auch kontraproduktiv sein. Besser ist es, Verständnis zu zeigen und zuzuhören – und im privaten Kontext vielleicht dabei unterstützen zu erkennen, ob ein Arzttermin helfen kann. Darüber hinaus kann ein Coaching helfen, genauso wie Therapien.

Wie können wir Burnout vorbeugen?

Öfter als Stress im Job führt die mangelnde Fürsorge für die eigene Person ins Burnout. Die beste Vorbeugung: hellhörig werden und auf die genannten Anzeichen achten. Und dann, sich nicht scheuen zu handeln. Vieles, was wir tun können, um ein Burnout zu verhindern, liegt in unserer eigenen Verantwortung, zum Beispiel:

  • Körpersignale und Gemütsveränderungen ernst nehmen
  • Arbeit und Privatleben trennen und beides organisieren
  • Freizeit und Pausen planen, auf guten Schlaf achten
  • Hilfe erbitten und annehmen

Die meisten Burnout-Betroffenen sagen: „Ich hätte früher auf die Anzeichen achten sollen, dann hätte ich mein Burnout verhindern können“. Daher ist es wichtig, über das Thema zu sprechen. Das kann anderen helfen, von den Erfahrungen zu profitieren, damit sie nicht in ein paar Jahren dasselbe sagen. Das war auch für mich der Grund, meine Erfahrungen zu teilen.

Wichtig ist ein Umfeld, in dem man sich anderen anvertrauen kann. Menschen im Umfeld wiederum sollten sich nicht den Druck machen, jeden beschützen zu wollen. Wichtig ist „zuhören“ und, wo möglich, passende Hilfe anzubieten, gern auch einen gemeinsamen Spaziergang.

Stressfaktor Corona – erhöht die Pandemie das Burnout-Risiko?

Ja, definitiv. Schon vor der Pandemie stiegen die Burnout-Zahlen in Deutschland. Und durch die Pandemie haben sich die Lebensbedingungen verändert: Im Lockdown verzichten wir auf vieles, wie Umarmungen, Kulturveranstaltungen oder Reisen. Dazu kommen isolierte Arbeitsbedingungen wie Homeoffice und virtuelle Meetings, mehr Arbeit oder Angst vor Jobverlust, oder auf Kinderbetreuung und Home-Schooling. Hier prallen zwei Faktoren aufeinander. Zum einen können wir Dinge nicht mehr machen, die uns Spaß machen, Energie geben, Stress reduzieren. Zum anderen erleben wir erhöhten Stress.

Und abseits des Berufslebens lauern schlechte Nachrichten, die Angst vor einer Ansteckung, Verlust von Familienmitgliedern oder Freunden. Eine Studie der TK zeigte 2020, dass sich jede(r) Zweite durch Corona stark belastet fühlt, Frauen noch mehr als Männer. Es ist daher besonders wichtig, gerade jetzt auf sich zu achten und positive Momente für sich zu schaffen.

Was, wenn es mich erwischt hat? Wie gehen Burnout-Patient:innen im Job gut damit um?

Im Idealfall bespricht man den Wiedereinstieg mit dem Arzt bzw. der Ärztin, auch abhängig davon in welcher Phase man sich befindet und welche Hintergründe eine Rolle spielten. Und dann geht es darum, sich schon bevor man zurückkommt, Gedanken über mögliche zukünftige Stresssituationen zu machen. Burnout-Patient:innen, die wieder arbeiten, sollten auf sich achten: feste Pausen einhalten, bewusst abschalten, das Privatleben nicht vernachlässigen. Begleitend kann eine Therapie oder ein Coaching die Rückkehr unterstützen.

„Wer nach einem Burnout im Job dauerhaft gesund bleiben möchte, braucht Unterstützung und eine alltagstaugliche Anti-Stress-Strategie."
Christian Krosse

Hier geht es nicht um Perfektion. Ein Arbeitstag wird auch mal stressig werden – keine Panik! Entscheidend ist, den „stressigen Tag“ als solchen zu erkennen. Manchen hilft es, jemanden einzuweihen und darüber zu reden, was einem passiert ist oder wie es einem geht. Die Bezugsperson kann dann unterstützen, auf sich zu achten. Mir hilft zum Beispiel, dass mein Manager und mein direktes Team Bescheid wissen. Sie achten mit mir gemeinsam darauf, wie viel ich arbeite, und geben mir gegebenenfalls einen Hinweis.

Klar ist, wer so etwas erlebt hat, ist nicht mehr die alte Person. Oft machen sich neue Selbstzweifel breit. Umso wichtiger ist es, sich anzuschauen, welche Symptome man erlebt, aber ignoriert hat – und dann sein eigenes Frühwarnsystem zu entwickeln. Im besten Fall kann man das Erlebte auch als Chance sehen, etwas positiv im Leben oder Job zu ändern und eventuell sogar anderen auf der Arbeit zu helfen. Ich bin sehr froh, für mich diesen Dreh gefunden zu haben.

Für mehr Informationen zur Erkennung und zum Umgang mit Burnout steht Christian Krosse als Coach und Berater zur Seite.