Rund acht Stunden am Tag arbeiten, fünf Tage die Woche, das ist für die meisten Menschen Alltag – vor allem, wenn sie keine kleinen Kinder haben. Maike, Stefanie, Nils und Michael gehen einen anderen Weg. Die vier Amazon Mitarbeiter treten bewusst kürzer im Job. Nicht wegen Kindern, sondern, um anderen Tätigkeiten in ihrem Leben mehr Platz einzuräumen: einem Master- und MBA-Studium, einer Weiterbildung, einer Promotion, der Musik oder der Beziehung. Wir haben mit ihnen über ihre Entscheidung zur Teilzeit und ihren Alltag zwischen Büro, Uni und der neuen Freiheit gesprochen.
Früher waren 60-Stunden-Wochen für Maike Dörfer normal. Die 34-jährige Senior Projekt Managerin arbeitete zuvor in der Unternehmensberatung. Auch nach ihrem Wechsel zu Amazon stand zunächst die Karriere weit oben auf der Prioritätenliste. „Der Job macht mir Spaß, ich bin sehr motiviert und knie mich gerne rein. Trotzdem habe ich eines Tages gemerkt, dass ich mir für andere Dinge in meinem Leben mehr Freiraum wünsche“, erzählt Maike. Da ist zum einen die Musik. Maike singt in zwei Bands, mit denen sie auf Hochzeiten und anderen Veranstaltungen auftritt. Zum anderen die Fernbeziehung zu ihrem Freund, der in der Schweiz lebt. „Außerdem wollte ich mich persönlich weiterbilden“, sagt Maike. Schon als Beraterin und auch heute hält sie bei Amazon interne Trainings für Mitarbeiter ab, beispielsweise im Bereich Selbstmanagement oder Teamentwicklung. „Ich gebe gerne etwas von meiner Erfahrung weiter und bin gut darin“, sagt sie. Bis zur Entscheidung, eine Weiterbildung zum systemisch-integralen Business-Coach zu absolvieren, vergingen mehrere Monate. Dann fasste sich Maike ein Herz und sprach mit der Personalabteilung über eine Reduzierung ihrer Arbeitszeit.
„Teilzeit bedeutet nicht faul zu sein, sondern andere Prioritäten zu setzen“
Auch Michael Pfeiffer, Senior Program Manager bei Amazon, trug den Gedanken an eine Doktorarbeit schon seit dem Studium mit sich herum, bevor er das Thema im Rahmen eines Karriereentwicklungsgesprächs anbrachte. Der 38-Jährige war vor Amazon ebenfalls in der Unternehmensberatung tätig. „Dort gab es keine zeitliche Flexibilität für eine Tätigkeit neben der Arbeit“, erinnert er sich. „Hier ist es anders: Mein Chef ermutigte mich sogar dazu, den Schritt zu gehen und wir haben uns gemeinsam mit der Personalabteilung auf ein 50-Prozent-Teilzeitmodell geeinigt.“
Seit dreieinhalb Jahren verlässt Michael nun gegen 14 Uhr das Büro und integriert freie Tage, an denen er sich seiner Doktorarbeit widmen kann. „Zu wissen, dass eine ganze Tageshälfte für die Seele reserviert ist, ist ein unglaubliches Gefühl. Natürlich ist eine Promotion viel Arbeit, es ist wie ein zweiter Job, aber es fühlt sich toll an, ein persönliches Projekt neu anzugehen und dafür auch Zeit zu haben. Meine Dissertation erfordert viele persönliche Kontakte in die Gründerszene, auch im Ausland, das wäre mit einer Vollzeitstelle so nicht machbar. Die Teilzeit bietet mir vielfältige Möglichkeiten mich selbst zu verwirklichen“, sagt Michael. „Das Leben ist farbenfroher und vielfältiger geworden“, findet auch Maike. Sie nahm eine Teilzeitstelle im Bereich Amazon Business an und arbeitet 28 Stunden im Büro. „Die Betonung liegt auf ‚im Büro‘, denn auch die anderthalb freien Tage sind sehr vollgepackt“, lacht Maike. „Teilzeit hat ja nichts mit Faulheit zu tun, sondern mit anderen Prioritäten.“
„Ich gebe Verantwortung ab – davon profitiert auch mein Team“
Dem kann Nils Faustmann zustimmen. Der 29-Jährige legte bei Amazon eine flotte Karriere im Bereich Lieferantenentwicklung hin und leitete bereits mit 26 Jahren ein Team. „Trotzdem habe ich gemerkt, dass mir noch etwas fehlt“, erinnert sich Nils. „Nach dem Bachelor wollte ich die Uni hinter mir lassen und in die Praxis. Aber dann stellte ich fest, dass ich mir in manchen Bereichen mehr theoretisches Hintergrundwissen wünsche.“ Seit September letzten Jahres hat Nils seine Arbeitszeit auf 32 Stunden reduziert und drückt freitagabends und samstags wieder die Hörsaalbank, um einen Master of Business Administration (MBA) zu erlangen. Von seinen Vorgesetzten und der Personalabteilung bekam er den nötigen Rückhalt, obwohl sein Studium keinen Einfluss auf seine Karriere bei Amazon nehmen wird. „Ich mache das vor allem für mich, für meine persönliche Entwicklung und um ein neues Netzwerk und neue Perspektiven zu bekommen“, so Nils.
Und was sagt sein Team dazu, dass der Leiter jeden Freitag bereits mittags aus dem Büro entschwindet? „Meine Teammitglieder können durch meine reduzierte Arbeitszeit mehr Verantwortung übernehmen, selbstständiger arbeiten und sich weiterentwickeln. Davon profitieren wir alle“, findet Nils. Michael teilt diese Erfahrung in der Teamführung: „Ich priorisiere und gebe mehr Verantwortung ab, weil ich gemerkt habe, dass es auch sehr gut läuft, wenn ich nicht alles selbst mache und nicht immer anwesend bin.“
Wie viel Zeit möchte ich für „mein Ding“ investieren?
Teilzeit direkt nach dem Studium? Das wäre Stefanie Knauer vor ihrem Start bei Amazon nicht in den Sinn gekommen. Die 26-Jährige bewarb sich während ihres Tourismusmanagement-Studiums als Werkstudentin. „Ich hatte zu der Zeit eine Mentorin bei Amazon, der ich erzählte, dass Tourismus doch nicht der richtige Bereich für mich ist, und dass ich noch einen Master in Business Management mit Fokus Sales und Marketing studieren möchte. Sie fragte mich, ob ich mir vorstellen könne, das neben dem Job zu machen“, berichtet Stefanie. „Ich erhielt das Angebot für eine Festanstellung auf 29-Stunden-Teilzeitbasis, das finde ich als Berufseinsteigerin schon sehr bemerkenswert und unheimlich motivierend. Ich hatte das Gefühl: Die wollen mich wirklich haben.“
Sobald sie ihren Master in der Tasche hat, möchte Stefanie in Vollzeit arbeiten. Auch Maike, Michael und Nils können nach Ende ihrer Teilzeitverträge in Vollzeitstellen zurückkehren, wenn sie möchten. „Es ist ein Riesen-Luxus, völlig neue Fähigkeiten zusätzlich zu meiner Tätigkeit erwerben zu können“, resümiert Maike, die sich mit ihrer Weiterbildung zum Business Coach neben der Arbeit einen großen Wunsch erfüllt. „Ich glaube, dass jeder so ein Thema hat, wenn er tief in sich hineinhorcht“, ist Michael überzeugt. „Ob Doktorarbeit, Weiterbildung, oder etwas ganz Anderes – am Ende ist die entscheidende Frage eigentlich nur, wie viel Zeit man in seinem Leben für ‚sein Ding‘ investieren möchte.“