„Hörende haben den gleichen Körper wie Gehörlose. Nur die Gehörlosen können nicht hören. Deshalb können wir trotzdem die gleiche Arbeit ausführen und auch kommunizieren“, erklärt Rabia Bartlog in Gebärdensprache.
Wir treffen sie an ihrem Arbeitsplatz im Logistikzentrum Werne. Dort arbeitet die Gehörlose seit zwei Jahren als Logistikmitarbeiterin. Auch ohne Gebärdensprache zu verstehen, ist klar: Rabia ist stolz auf das, was sie erreicht hat. Das erzählen ihre Augen, ihr Lachen und die aufrechte Haltung der 25-Jährigen.
Eine Gebärdendolmetscherin übersetzt das Interview und so erfahren wir mehr.
„Bevor ich hier bei Amazon angefangen habe, habe ich in einer Wäscherei eine Ausbildung zur Reinigungsfachkraft gemacht. Am Anfang lief es da gut, aber dann gab es einen Chefwechsel und ich habe mich nicht mehr wohl gefühlt.“
Gehörlose werden oft unterschätzt
Rabia denkt über einen Jobwechsel nach, aber sie weiß, dass sie es als Gehörlose nicht leicht haben würde, einen anderen Job zu finden: „Hörende sind für die Arbeitgeber einfach viel interessanter“, erzählt Rabia. „Da gibt es viele Vorurteile und man bekommt oft nicht die Chance, damit aufzuräumen.“
Rabia beschließt, die Zähne zusammenzubeißen und schließt die Ausbildung ab, sogar mit Bestleistung. Trotzdem weiß sie, dass sich etwas ändern muss.
Rabia ist vernetzt in der Gehörlosen-Community und hat dort mitbekommen, dass bei Amazon einige gehörlose Menschen arbeiten. „Warum nicht?“, denkt sie und bewirbt sich auf eine Stelle als Logistikmitarbeiterin. Einen Tag arbeitet sie zur Probe, packt Pakete und ist sofort begeistert: „Man hat sich hier einfach so viel Mühe gegeben“, erinnert sie sich an den Probearbeitstag. Die hörenden Kollegen und Kolleginnen hätten mit Händen und Mimik kommuniziert und auch alles aufgeschrieben, wenn Rabia etwas nicht verstanden hat. Vor allen Dingen sei sie aber begeistert vom Engagement des Teams um den Schwerbehindertenvertreter Bernd Kollmer gewesen, der sich für die derzeit 48 gehörlosen Kollegen und Kolleginnen einsetzt.
238 Menschen mit Behinderungen sind Teil des Teams
Dass am Standort Werne viele Menschen mit Behinderungen eine Beschäftigung gefunden haben, ist auch ihm zu verdanken. Bernd Kollmer ist es ein großes Anliegen, Menschen wie Rabia zu helfen. Das ist zu spüren, wenn er mit Leidenschaft von seinem Arbeitsbereich erzählt: Insgesamt 238 Menschen mit Behinderungen arbeiten am Standort Werne, sagt Bernd. „Das sind Menschen mit den unterschiedlichsten Behinderungen. Viele Gehörlose, aber zum Beispiel auch Menschen mit geistiger Behinderung, ein Kleinwüchsiger und ein Blinder, für den wir hier eine Stelle neu geschaffen haben“, erzählt Bernd Kollmer mit Stolz und erklärt, dass damit auch stets technische Lösungen gefordert seien. So steht zum Beispiel für die Gehörlosen ein eigenes Brandmeldesystem zur Verfügung, das die Sicherheit am Arbeitsplatz gewährleistet.
Sicherer Arbeitsplatz
Weil in den Logistikzentren ein reger Verkehr durch Gabelstapler herrsche, würden die gehörlosen Mitarbeitenden vor allem in den stationären Bereichen eingesetzt, wie zum Beispiel in der Verpackung.
Trotzdem muss Rabia natürlich auch die Fußwege durch das Logistikzentrum nutzen. Dabei sind sie und ihre Kollegen und Kolleginnen aber gut geschützt: Besondere Lichtsignale wurden eingerichtet, die überall im Logistikzentrum anzeigen, wenn ein Gabelstapler sich nähert.
Außerdem bekommt jede gehörlose Person im Logistikzentrum zu Schichtbeginn einen Pager, der vibriert, wenn Feueralarm ausgelöst wird.
„Der Pager ist unser Hilfsmittel für Gehörlose. Darüber bekommen wir mit, wenn Feueralarm ist. Wenn es vibriert, wissen wir, dass wir zu den Notausgängen gehen müssen."
Rabia zeigt diesen Pager stolz und erklärt, dass sie ihn auch nutzt, um mit ihren Vorgesetzten zu kommunizieren. “Ich fühle mich hier gut betreut“, erklärt sie. Nicht nur das Team um den Schwerbehindertenvertreter, sondern auch die hörenden Kolleginnen und Kollegen seien hier sehr offen.
„Einige hörende Kollegen können etwas Gebärdensprache, ich habe sie teilweise gefördert, dass sie das lernen“, erzählt Rabia. Da viele hörende Logistikmitarbeitende Spaß an der Gebärdensprache hätten, gebe es sogar einen regelmäßigen Kurs am Standort Werne, ergänzt Bernd Kollmer.
Hier wird Gebärdensprache gesprochen
Für Rabia ist dies sehr wichtig, aber auch die anderen gehörlosen Kolleginnen aus dem Team geben ihr Sicherheit. Rabia begleitet uns nach dem Interview nach draußen. Auf dem Weg zum Ausgang wird klar, was das heißt. An mehreren Stellen bleiben wir stehen, weil Rabia jemanden trifft, den sie kennt und mit dem sie sich kurz in Gebärdensprache unterhält.
Bei einem Mann bleibt sie länger stehen. Über was die beiden gerade sprechen, fragen wir die Gebärdendolmetscherin. Sie möchte sich Geld leihen für die Kantine, erfahren wir. Der Mitarbeiter ist Rabias Ehemann. Er ist ebenfalls gehörlos. „Mein Mann arbeitet auch hier“, erzählt Rabia und ergänzt, dass es für sie ein schönes Gefühl ist. „Wir haben die Pausenzeiten zusammen, aber sonst sind wir nicht in der gleichen Abteilung."
Ob sie sich hier kennengelernt haben, fragen wir. Rabia schüttelt den Kopf. Sie sei früher in einem Kindergarten für Gehörlose gewesen, ihr Mann daneben in einer Gehörlosenschule. „So haben wir uns kennen- und irgendwann auch lieben gelernt“, übersetzt die Dolmetscherin. Rabia lächelt. Klar sei man in der Gemeinschaft der Gehörlosen vernetzt und kenne sich untereinander. Aber für sie ist es wichtig, dass sie hier bei Amazon einen ganz normalen Job machen kann, wie jede andere Person auch: „Mir ist es wichtig, dass alle wissen, dass die Gehörlosen alles können - außer hören.“