„Kopf einziehen”, warnt Jörg Loebner beim Gang die Treppe hinunter in den Keller des alten Wohnhauses. „Die alten Loebners früher waren sehr klein“, ergänzt er lachend und führt uns durch die Gewölbe, die seine Vorfahren vor mehr als 300 Jahren gemauert haben. Den Mörtel hatten sie damals beim Bau durch Quark und Sand ersetzt. Erfinderisch waren sie nämlich schon immer, die Loebners. Hier im Keller des alten Hauses, mitten in der Innenstadt von Torgau bei Leipzig lagern heute Holzschaukeln, Puppen, Puzzlespiele und viele andere Spielwaren in den Regalen. Ein Stockwerk darüber werden sie verkauft: in einem der ältesten Spielwarengeschäfte der Welt. „Da sind wir sehr stolz drauf“, erklärt Jörg Loebner, der den Laden nun in der 11. Generation betreibt. Seit über 300 Jahren wird das Geschäft immer vom Vater an den nächsten Sohn weitergegeben. Der aktuelle Inhaber Jörg Loebner nimmt ein Paket Legobausteine und geht zügig die Treppe hinauf in den Verkaufsraum.
„Es muss gute Ware sein, kein billiger Schnullifax. Das ist uns wichtig, denn wir stehen für Qualität."
Der 63-jährige Kaufmann ist fit. Leicht fällt es ihm nicht, nach 35 Jahren Arbeit aus Leidenschaft in den Ruhestand zu gehen. Aber es wird weitergehen, wie es immer weiterging: Sein Sohn Ingo wird ab 2018 das fortführen, was im Jahr 1685 mit einer gedrechselten Puppe aus Holz begann. Sein Ur-ur-ur-ur-ur-ur-ur-ur-ur-Großvater Christoph fertigte diese Puppe an, die noch heute im Besitz der Familie ist. Der Drechslermeister verkaufte solche Puppen seinerzeit im Laden zusammen mit anderen Holzspielzeugen wie Kreiseln, Trommelstöcken und Pfeifen.
Tradition trifft Moderne
Holzspielzeug gibt es heute auch noch im Laden. Insgesamt ist das Sortiment aber deutlich moderner: Lego, Bücher, Pokémon-Karten, Kasperlepuppen und Schaukelpferde warten hier nun auf ihren Einsatz im Kinderzimmer. Auch die Regale, der Teppichboden und der Verkaufstresen sind auf dem neuesten Stand. Alte Holztheken, verschnörkelte Lampen oder eine alte Registrierkasse sucht man in dem Spielwarenladen vergebens. „Nach der Wende haben wir das alles neu gemacht“, erklärt Jörg Loebner. Viele Kunden sind darüber erstaunt. Torgau liegt am Elbradwanderweg. Fahrradtouristen fahren durch die Stadt und suchen als Mitbringsel eine besondere Kleinigkeit, die sie im ältesten Spielwarengeschäft der Welt kaufen möchten und kommen mit der Erwartung in den Laden, dass er noch aussehe wie vor 300 Jahren. „Aber wir müssen ja auch die Bevölkerung hier in Torgau bedienen, nicht nur Touristen“, erklärt der Chef. Daher sei ein moderner Laden mit den gängigen Spielwarenmarken notwendig gewesen, fügt er hinzu und steigt die alte Treppe in den zweiten Stock des Ladens hinauf, die unter dem modernen, grauen Teppich noch immer bei jedem seiner Schritte knarzt.
Keine DDR-Nostalgie
„Hier oben war früher das Wohnzimmer und die Küche meiner Eltern“, beschreibt Loebner den oberen Teil des Ladens stolz. Zu DDR-Zeiten, so erinnert er sich, lief der Laden noch über Thekenbedienung. Doch mit der Wende seien mehr Produkte ins Programm gekommen und es fehlte an Verkaufsfläche, so dass sein Vater den oberen Bereich im zweiten Stock zu einer Ladenfläche umbauen musste.
Gute zehn Jahre brummte der Laden. Doch mit der Jahrtausendwende gerieten die Umsätze ins Stocken. Wie viele Städte in Ostdeutschland war auch Torgau von der Abwanderung in die neuen Bundesländer betroffen und immer weniger Kinder drückten sich an der Schaufensterscheibe des Geschäfts die Nase platt.
Pakete aus der Provinz
Der Spielwarenhändler kam ins Grübeln. Ob es wohl einen Versuch wert sei, die Waren über Amazon zu vertreiben? „Ich hab das meinem Sohn und meiner Frau gesagt. Die haben sich alle halb totgelacht“, erinnert sich der Geschäftsmann. Amazon sei doch keine Liga, in der die Loebners als kleiner Provinzladen mitspielen könnten, so die Reaktion der Familie. Doch Jörg Loebner wollte es einfach mal ausprobieren. Er stellte das Sortiment online und über Nacht hatten sie zwei Pakete verkauft. „Ich war stolz wie sonst was“, erinnert sich der grauhaarige Sachse lachend. „Wir haben uns bei den zwei Paketen richtig Mühe gegeben, Flyer reingelegt und Werbeartikel dazu gepackt“. Die Etiketten schrieb seine Frau mit der Hand und brachte die Pakete zu Fuß zur Post.
Das wäre heute nicht mehr denkbar. Denn binnen kurzer Zeit stiegen die Verkaufszahlen, Loebner ergänzte das Angebot um einen eigenen Online-Shop und der Aufwand wurde so groß, dass er seinen Sohn Ingo schon vor der offiziellen Übergabe ins Boot holte.
Wenn der Vater mit dem Sohne
Heute sitzen die beiden nebeneinander im Büro in der oberen Etage des Spielwarengeschäftes und kümmern sich gemeinsam um Bestellungen, Warennachschub, Reklamationen und Kundenanfragen. Verschickt wird die Ware aus einem Lager unweit der Torgauer Innenstadt. „Anfangs haben wir die Pakete hier aus dem Laden verschickt, aber das wäre heute nicht mehr möglich“, erzählt der Senior, der den Schritt in den Online-Handel heute für die beste Entscheidung der letzten Jahre hält.
Diesen Weg nun auszubauen und fortzuführen wird der Job des Nachfolgers sein. Ingo Loebner kann dabei auf die Arbeit seiner Familie aufbauen. Er ist sich sicher, dass die Mühen seiner Vorväter sich auch im Online-Handel auszahlen werden. „Ein so traditionsreiches Unternehmen, wie wir es sind, steht natürlich auch für eine gewisse Seriosität“, meint Loebner Junior. Und das älteste Spielwarengeschäft der Welt werde auch im Internet als vertrauenswürdige Marke empfunden – weit über die Grenzen Torgaus hinaus. „Wir liefern inzwischen viel nach Österreich, nach Mallorca und sogar nach Amerika“, erklärt er stolz.
Weltweiter Ruhm und schweres Erbe
Ein Kunde aus den USA sei sogar übers Netz auf Carl Loebner Spielwaren aufmerksam geworden und habe das Geschäft mit eigenen Augen sehen wollen. „Der ist von New York nach Frankfurt geflogen, dann weiter nach Leipzig gefahren und ist von dort mit dem Taxi zu uns ins Geschäft gekommen“, erzählt Ingo Loebner stolz. Dieser Kunde wollte ganz persönlich in dem alten Geschäft für seine Enkel einkaufen.
„Die Kunden kaufen aber eben heute gerne online“, weiß der junge Kaufmann und sieht in dem neuen Vertriebsweg die Zukunft. Wenn es den Online-Handel nicht geben würde, wäre unser Geschäft wahrscheinlich hier am Marktplatz in Torgau nicht in der Größe vorhanden. Die alte Tradition fortzuführen und das Erbe seiner Vorfahren sicherzustellen ist nicht immer eine leichte Aufgabe für Ingo Loebner. Aber er blickt zuversichtlich in die Zukunft.
„Meine Vorfahren sind mit dem Handwagen damals bis zur Leipziger Messe gefahren und haben dort ihre Waren verkauft“, weiß er aus den Erzählungen seines Vaters und Großvaters. „Mal sehen, was so kommt. Aber mir wird da schon was einfallen.“ Schließlich sei er doch ein Loebner. Und die waren ja bekanntlich immer erfinderisch.